Nachfolgend eine Zuschrift von Dipl. Ing. agr. Tilman Kluge an Franziska Mohr von der MAZ Königs Wusterhausen. Er ist auch an Bürgermeister Dr. Lutz Franzke gegangen.
Sehr geehrte Frau Mohr,
mit Interesse habe ich den angehängten Artikel gelesen.
Ich (seit über 30 Jahren im behördl. Naturschutz, aktuell – auch wenn hier ausdrücklich außerdienstlich zugange – über die Woche bei einer Naturschutzbehörde für Ordnungswidrigkeiten zuständig) würde ja nun zumindest penibel beobachten, ob alles exakt so läuft, wie genehmigt, ansonsten wäre sofort Ordnungswidrigkeitsanzeige zu erstatten.
Das alles paßt insgesamt zu Recherchen, die ich momentan in Sachen kommunale Beteiligung in Genehmigungsverfahren anstelle. Ich denke, daß wir hier eine grundsätzlich fehlerhafte Gesetzeslage haben, der die Verfahrenspraxis mehr oder weniger freiwillig folgt, von der späteren (Nicht-) Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ganz zu schweigen.
Wie es die Kommune KW offensichtlich aus eigener Erfahrung erlebt, ist §6 BauGB ein Nährboden für vielerlei genehmigungsrelevante Abenteuerlichkeiten. Dabei gehe ich davon aus, daß oft der Anwendung des §36 Abs.2 Satz 3 BauGB zwar eine nominelle, aber tatsächlich nicht eine formal als solche ansprechbare gemeindliche Einvernehmensentscheidung zugrundeliegt, so daß sich die Genehmigungsbehörde beim „Ersetzen“ in einer rechtlichen Grauzone bewegt, weil es formal gar kein zu ersetzendes Einvernehmen gab.
Nicht zu vernachlässigen ist auch der am Schluß dieses Schreibens noch einmal zusammegefasste Trott, der schon mehrere Generationen von Genehmigungsbehörden- respektive v.a. Bauaufsichtsbehördenmitarbeitern prägt und geprägt hat.
Ich denke, daß die derzeitige Einvernehmensregelung des §36 BauGB in sich und an sich gar nicht legal funktionieren kann. Denn es wird in aller Regel nicht die Herstellung des Einvernehmens zu einer beabsichtigten konkreten behördlichen Zulassung oder Ablehnung verlangt (das wäre OK), sondern die Zustimmung zu einem mehr oder weniger maroden Antragsmaterial.
Es besteht v.a. (aber nicht nur) ein exemplarischer Konflikt zwischen §36 Abs.1 Satz 1 und 2 BauGB einerseits und z.B. §36 Abs.2 Satz 2 (ab Semikolon) BauGB andererseits.
Hinzu kommt eine zum Zeitpunkt der Antragstellung für eine Gemeinde vor allem bei größeren Projekten wie WKA noch gar nicht voraussehbare inflationäre Nebenbestimmungsflut. Diese pervertiert den verwaltungsverfahrensrechtlichen Sinn von Nebenbestimmungen, nämlich die gesetzkonforme Ausnutzung einer Genehmigung zu sichern, dadurch, daß die Nebenbestimmungen stattdessen zu einem nennenswerten Teil dazu dienen, Antragsdefizite aufzufangen, sprich marode Anträge zu sanieren und (oft m.E. entgegen §36 Abs.3 VwVfG, weil letztendlich etwas anderes als beantragt, genehmigt wird) zu modifizieren.
Die Annahme liegt nicht fern, daß sich das alles sicher auch in der Furcht der Genehmigungsbehörden begründet, sonst (politischen) Ärger mit Investoren zu bekommen.
Die Crux liegt also darin, daß aktuell gemeindliche Zustimmung zu Antragsmaterial und gemeindliches Einvernehmen zu der Genehmigung/Zulassung, die zuständige Behörde letztendlich aus dem Antragsmaterial strickt, fast ausnahmslos nicht getrennt werden und keiner merkt es.
In den Kommentaren zu §36 BauGB kommen die o.g. Aspekte in der Regel nicht zur Geltung.
Ich habe den §36 BauGB nun unter http://www.36baugb.igsz.de attackiert. Daß ich massenweise Mitzeichner für die v.g. Attacke suche, muß ich wohl nicht betonen.
Siehe auch http://www.peter-kremer.de/images/dokumente/veoeffentlichungen/aufsaetze/ZUR_4_2006_S.190-193.pdf Satz 1
Diese Mail ist nicht vertraulich, kann also offen diskutiert werden.
Mit den besten Grüßen
Tilman Kluge
http://www.wiki.igsz.de
P.S.: Ihr Kommentar aus 2011 (ebenfalls angefügt), den ich im Zuge von Recherchen (s.o.) quasi „am Rande“ aufgriff, ist super und paßt sicher auch für zahlreiche immissionsrechtlich windige Angelegenheiten……