„Im Denkmalschutz wird unsere kulturelle Identität gefestigt, gerade als demokratische Gesellschaft sind wir auf diesem Feld verwundbar.“ (Thomas Drachenberg, Brandenburger Landeskonservator, MAZ 25.03.2025, S. 11) Genau darum geht es auch im jüngsten Falle in KW: um den Dorfkern in Niederlehme. Was hierzu in den letzten Monaten öffentlich und intern abgelaufen ist, nenne ich einen bemerkenswerten Vorgang, angesiedelt in dem Dreieck Stadtverordnete / Fraktionen, Stadtverwaltung, Bürgerinnen und Bürger (nicht nur aus dem Bereich Dorfkern). Er verdient es, im Interesse der Stadtgesellschaft intensiver erhellt zu werden; denn Wiederholungen eines derartigen bzw. ähnlichen Vorganges sind m. E. von beträchtlichem Schaden für unsere Kommune.
Was ist passiert?
Im Jahre 2024 schien es so, als würde sich die CDU-Fraktion dem Denkmalschutz in unserer Kommune ernsthafter als bisher zuwenden. Sie brachte mehrere Beschlussvorlagen (BV) ein, in denen ein historisch-kulturelles Erbe im Zentrum stand. Dazu gehörte die BV zum Entwurf der Erhaltungs- und Gestaltungssatzung „Dorfkern Niederlehme“. Die BV lag zur Abstimmung in der SVV am 9.12.2024 (Fortsetzung 16.12.2024) allen Stadtverordneten schriftlich vor; sie war auch uns Bürgern über das Rathausinformationssystem schriftlich zugänglich. Ein Blick auf die BV macht vor allem zweierlei deutlich: Sie umfasst das durchzuführende Verfahren – und zwar in allen vorgesehenen, erforderlichen Schritten – und eine inhaltliche, ausschließlich städtebauliche Begründung, untrennbar verbunden mit der Betonung des historisch-kulturellen Aspektes.
ANNAHME DES SATZUNGSBESCHLUSSES – UND PLÖTZLICHE KEHRTWENDE
Zum Verfahren heißt es in der BV:
Die Stadtverordnetenversammlung Königs Wusterhausen beschließt Folgendes:
1. Die Verwaltung wird beauftragt, für den vorliegenden Entwurf der Erhaltungs- und
Gestaltungssatzung „Dorfkern Niederlehme“ gemäß § 172 BauGB, das förmliche
Beteiligungsverfahren einzuleiten.
2. Die Verwaltung wird beauftragt:
– Die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit gemäß § 3 Abs. 1 BauGB durchzuführen.
– Die Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange gemäß § 4 Abs. 1 BauGB zu
beteiligen.
– Die öffentliche Auslegung gemäß § 3 Abs. 2 BauGB vorzubereiten.
3. Nach Abschluss der Beteiligungsverfahren ist der Satzungsentwurf mit den
eingegangenen Stellungnahmen und einem Abwägungsvorschlag der
Stadtverordnetenversammlung zur Beschlussfassung vorzulegen.
[…]
WEITERES VERFAHREN
1. Januar: Beteiligung der Träger öffentlicher Belange (4 Wochen)
2. Februar 2025: Auswertung der Stellungnahmen
3. März 2025: Öffentliche Auslegung (1 Monat)
4. April 2025: Prüfung und Abwägung der Stellungnahmen
5. Mai 2025: Vorlage zur Beschlussfassung
Die Begründung der BV lautet:
Der historische Dorfkern Niederlehmes ist durch seine einzigartige Struktur als ehemaliges
Sackgassen- bzw. Angerdorf von besonderem städtebaulichem Wert. Der vorliegende
Satzungsentwurf soll dieses kulturelle Erbe schützen und eine geordnete städtebauliche
Entwicklung sicherstellen.
Die Satzung regelt insbesondere:
– Den Erhalt der historischen Raumstruktur mit dem zentralen Anger,
– Den Schutz der charakteristischen ein- bis eineinhalbgeschossigen Bebauung,
– Die Sicherung wichtiger Sichtachsen zur Kirche und zur Dahme,
– Die Bewahrung des wertvollen historischen Baumbestands,
– Den Erhalt der überlieferten Erschließungsstrukturen.
Annahme der Beschlussvorlage zum Satzungsentwurf und Folgen
Die BV wurde in der SVV mehrheitlich angenommen. Damit war das Verfahren formell eröffnet, folglich die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange (TÖB) – so zum Beispiel der unteren Denkmalbehörde LDS – gemäß § 4 Abs. 1 BauGB eingeleitet worden. Nach Eingang und Auswertung ihrer Stellungnahmen hätte der Vorgang in oben ausgewiesener Form fortgesetzt werden müssen, das unter Beteiligung nicht allein der Anwohner aus dem Dorfanger bzw. Niederlehme, sondern mindestens aller interessierten Bürger unserer Kommune (es ist ihr gemeinsames, generationenübergreifendes, historisch-kulturelles Erbe). Aber genau das unterblieb; denn vor allem unter dem Eindruck einer plötzlich als Bürgerinitiative handelnden, laut vernehmbaren Ablehnungsfront (besonders als Mehrheit der Angerbewohner) – stark bestimmt von deren Eigentümerinteressen und nicht frei von fragwürdigen Behauptungen bzw. Falschaussagen – reichte die CDU-Fraktion nunmehr in der Sitzung vom 12.05.2025 eine BV zur Aufhebung ihres ursprünglichen Beschlusses ein. Das zu einem Zeitpunkt, da die Beteiligung der TÖB sowie die Auswertung und Prüfung ihrer Stellungnahmen nicht abgeschlossen war, folglich die dazugehörigen Ergebnisse fehlten.
RECHTLICH FRAGWÜRDIG UND DEMOKRATISCH BEDENKLICH
Wortlaut des Aufhebungsbeschlusses (10-25-100)
Die Stadtverordnetenversammlung Königs Wusterhausen beschließt Folgendes:
Der Beschluss 10/24/303 vom 16.12.2024 der Stadtverordnetenversammlung Königs
Wusterhausen „Gestaltungssatzung Dorfkern Niederlehme“ wird aufgehoben.
Begründung:
Erfolgt ggf. mündlich
Was fällt mir auf (auch im Vergleich zur BV 10/24/303)?
Eine Begründung ist nicht vorhanden. Sie fehlt in schriftlicher Form. Eine mündliche Begründung wird als möglich benannt, nicht aber als nötig. Unter Umständen könnte sie – je nach Verlauf der konkreten Sitzung in kommunalpolitischen Gremien – völlig unterlassen werden. Dann gäbe es zur Sache überhaupt keine Begründung.
Mit diesem Verzicht wird die inhaltliche, ausschließlich städtebauliche Begründung unter historisch-kulturellem Aspekt preisgegeben. Von ihr aber wird der ursprüngliche Beschluss, dem historische Erkenntnisse zum Satzungsentwurf zugrunde liegen, getragen.
Mit dieser BV begaben sich Mitglieder der CDU-Fraktion in den Ortsbeirat Niederlehme, in den Stadtentwicklungsausschuss, in den Hauptausschuss und in die SVV. Ihre Bitte um Empfehlung bzw. Zustimmung zu ihrer Beschlussvorlage verbanden sie lediglich mit Aussagen wie
– dass sie den Dorfkern nach vielen Gesprächen, auch teilweise kontroversen Diskussionen „zwar als erhaltenswert ansehen, aber die Beschlussvorlage nicht als geeigneten oder zielführenden Weg sehen, den Ortskern zu erhalten“ (Jens Richter (CDU), SVV, 12.5.2025),
– dass sie mit dem Beschluss des Satzungsentwurfs für den Dorfkern Niederlehme wohl über das Ziel hinausgeschossen seien.
In der SVV-Sitzung am 12.05.2025 gab es hierzu lediglich eine mündliche Anmerkung aus der FDP/SPD-Fraktion, das in folgendem Wortlaut:
„Ich freue mich, dass wir dieser Beschlussvorlage am Ende tatsächlich zustimmen können und eine Aufhebung der bisherigen Beschlusslage entscheiden können.
Aber ich möchte doch noch mal zwei, drei Worte verlieren. Das eine ist, die Beschlussvorlage, wenn man das Gute drausziehen möchte, ist, dass die Bürgerinnen und Bürger von Niederlehme zueinander gefunden haben, sich organisiert haben und erfolgreich gegen diesen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung sich formiert haben und viel Arbeit, viel Energie und viel Kraft reingesteckt haben, damit dieser Beschluss, so wie er heute von der CDU-Fraktion zurückgenommen wird, auch von der Stadtverordnetenversammlung so beschlossen wird.
Leider das Negative. Wenn man sich mit den Bürger unterhält, hatten viele der Bürgerinnen und Bürger schlaflose Nächte, hatten Sorge, dass hier unangemessene Eingriffe in die Eigentumsrechte oder Freiheitsrechte mit eingenommen werden, dass unnötig Bürokratie aufgebaut wird, dass Baukosten, Renovierungskosten für die Häuser unnötig gesteigert werden. Ein klassisches Beispiel, wie man Bürokratie aufbaut, und wir reden in heutigen Zeiten viel von Bürokratieabbau. Deshalb würde ich mir auch an alle Fraktionen, nicht nur an die CDU, zukünftig wünschen, wenn wir solche Beschlüsse fassen, dass wir uns auch über die späteren Folgen, auch für die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, Gedanken machen und nicht kurzfristig über das Knie solche Entscheidungen brechen.“ (Simon Grzyk, SVV 12.05.2025)
Derartige Aussagen können die völlig veränderte Position der CDU-Fraktion, aber auch der FDP/SPD-Fraktion (zeitweilig hatte sie sich zuvor mit einem Änderungsantrag pro Satzungbeschluss beteiligt) nicht solide erklären (das ungeachtet dessen, dass sie die Stadtverordneten offensichtlich überzeugen konnten); zudem erfüllen sie nicht im Ansatz die Anforderungen an eine sachlich begründete Aufhebung eines begonnenen Satzungsverfahrens. Es fehlt jegliche Darlegung, warum das Instrument der Gestaltungssatzung – aus gutem Grunde auch hier in Niederlehme gewählt – plötzlich als ungeeignet gewertet wird. Es wird auch kein Wort darüber verloren, welche konkreten Alternativen stattdessen verfolgt werden sollen. Zur Erinnerung: Die ursprüngliche Zielsetzung (Sicherung des historischen Ortsbilds, Regulierung übermäßiger Neubauten etc.), wie im Beschluss vom 16.12.2024 fixiert, hat sich objektiv nicht verändert. Es liegen hierzu meines Wissens keine neuen Erkenntnisse vor, die eine Verfahrenseinstellung rechtfertigen könnten.
EINSTIMMIGE AUFHEBUNG – TROTZ OFFENER FRAGEN UND BEDENKEN
Das alles und noch anderes war für die Stadtverordneten wohl kein nennenswertes Thema, das sie öffentlich ansprechen wollten? Nicht für die Stadt- und Landtagsabgeordneten Christian Dorst (BSW) und Ludwig Scheetz (SPD). Nicht für die Juristen und langjährigen Kommunalpolitiker Stefan Jablonski (CDU), Christian Möbus-Lazarus (CDU), Laura Lazarus (CDU), Stefan Ludwig (DIE LINKE), Tobias Schröter (SPD, einstiger Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses KW). Nicht für Georg Hanke (SPD) als einstigem Vorsitzenden des Kreistages LDS. Und auch nicht für jene relativ neuen Stadtverordneten wie Heinz Berge (AfD) und Petra Stettnisch (AfD), die zugleich Mitglieder des Kreistages sind. Die Zustimmung in der SVV am 12.05.2025 erfolgte einstimmig (29 Ja-Stimmen, 0 Nein-Stimmen, 2 Enthaltung, 1 Befangen). Das folglich auch unter Mitwirkung aller anwesenden AfD-Stadtverordneten – und offensichtlich anders abstimmend als am 16.12.2024 (auch anders abstimmend als im Falle des Gasthofes Riedel, dessen Erhalt die AfD-Fraktion KW als ein Herzensanliegen betonte). Und das, obwohl doch die AfD/ Land Brandenburg dem historisch-kulturellen Erbe als Teil von Heimat, von Traditionen, von Identität usw. programmatisch verpflichtet sein will, ihm programmatisch besonderes Gewicht einräumt (siehe Regierungsprogramm Brandenburg /Landtagswahl 2024)?
Von der oben zitierten Kommentierung in der SVV am 12.05.2025 einmal abgesehen, gab es dort keinerlei Nachfragen, keinerlei Einwendungen, keinerlei Bedenken von Stadtverordneten. Gudrun Eichler als sachkundige Einwohnerin im Stadtentwicklungsausschuss hatte – nicht nur dort – mehrmals Verfahrensfragen und Fragen zur Bauleitplanung aufgeworfen. Ihre Beantwortung war zum Teil in der Sache unbefriedigend, weil als unverbindlich, ungenau, fehlerhaft, widersprüchlich, ausbleibend wahrgenommen bzw. ermittelt. Ich selbst hatte mich als Einwohnerin von KW in Ausschüssen geäußert; so wollte ich im Hauptausschuss wissen, ob es tatsächlich ausreichend wäre, dass den Stadtverordneten mit dem Beschlussvorschlag nur die (parteiische) PRO- Stellungnahme der Stadtverwaltung zur Verfügung stünde. Lagen der Stadtverwaltung doch nicht längst Stellungnahmen von TÖB vor, wenn auch die Auswertung noch nicht stattgefunden hatte und das Verfahren selbst noch nicht abgeschlossen war? Die Bürgermeisterin meinte, für die Abstimmung genüge die Stellungnahme aus dem eigenen Hause. Und dabei blieb es.
Es blieb auch dabei, als die Stadtverwaltung selbst einen alternativen Vorschlag ansprach (siehe Stellungnahme Stadtverwaltung zur Beschlussvorlage 10-25-100): statt „Dorfkern-Satzung“ einen Wechsel zum B-Plan „Dorfkern“ mit Aufnahme von Erhaltungs- und Gestaltungszielen. So gesehen ein „alles-in-einem-Bauplan“ (Stellungnahme). Aber alles im Vagen verbleibend – trotz der Bezüge zu den jeweiligen Vorschriften. Alles ohne Präzisierung in Zeit und Raum. Alles ohne jegliche Darstellung von Risiken, die diesem „[r]ein rechtstechnischen“ (Stellungnahme) Instrumentenwechsel innewohnen; denn nach meiner Kenntnis – wenn auch als Laie – würde ein solcher Ansatz erhebliche Risiken für die Rechtssicherheit des gesamten Planverfahrens mit sich bringen: Er erfordert eine differenzierte Abgrenzung zwischen dem Entwicklungsgebot nach § 8 Abs. 2 BauGB, den Festsetzungsmöglichkeiten nach § 9 BauGB und den spezifischen Erhaltungszielen nach § 172 BauGB; es wäre ein planungsrechtlicher Spagat, auf den man sich da einließe, der ein hohes Risiko für Normenkontrollklagen birgt und besondere Expertise verlangt; je größer die Gemengelage verschiedener Bereiche, je komplexer der Gegenstand, desto schwieriger, fehleranfälliger wird das Feld, das zu bearbeiten ist. Eine solche nötige Information, ja Beratung für die Entscheidungsfindung der Stadtverordneten leistete die Stadtverwaltung – die doch darüber Bescheid wissen sollte – nicht. Und ehrenamtlich tätige Stadtverordnete machten auf mich u. a. den Eindruck, sie angesichts der Kompliziertheit der Sachverhalte nicht einfordern zu können oder zu wollen.
Die hier angedeutete Kompliziertheit, auf die Gudrun Eichler in verschiedenen Gremien mit Fragen und Hinweisen aufmerksam zu machen versuchte, dürfte auch eine Rolle für das Abstimmungsverhalten von Stadtverordneten gespielt haben. Allerdings nicht allein, wie die Anmerkung des Stadtverordneten Simon Grzyk (SPD/FDP) zeigt. Es kommen vermutlich mehrere Gründe und Motive zusammen. Und ganz sicher ist hierbei mit Blick auf die Bürgerinitiative auch Parteitaktik auf Kosten des historischen Erbes unserer Kommune betrieben worden. Parteiinteressen, Eigentümerinteressen einer Minderheit von KW contra kommunale Interessen? (Randbemerkung zur Erinnerung: Die Bürgerinitiative sprach nicht für alle Bewohner /Grundstückseigentümer im Bereich Dorfkern Niederlehme.)
FAZIT
(BVerwG, Urt. v.12.12.1969, IV C 105.66)
Wie dem auch sei. Hinsichtlich des Vorgangs mit zwei Beschlüssen, die unsere Kommune und nicht nur die Bürgerinitiative Ortskern Niederlehme betreffen, unterstreiche ich nachdrücklich: Eine Gemeinde ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verpflichtet, städtebauliche Belange in einem geordneten Abwägungsprozess zu bewerten (BVerwG, Urt. v.12.12.1969, IV C 105.66). Das genau ist im unserem Falle nicht geschehen. Ein vorzeitiger Abbruch eines Satzungsverfahrens allein aufgrund von partikularem Widerstand, wie in der Niederlehmer Bürgerinitiative zum Ausdruck kommend und in der SVV einstimmig bejaht, ohne Durchführung eines ordnungsgemäßen Beteiligungsverfahrens und ohne sachliche städtebauliche Begründung, stellt eine Verletzung dieses Grundsatzes dar. Dies unterläuft die gesetzlich vorgesehenen Verfahrensschritte, die gerade dazu dienen, unterschiedliche Interessen zu erfassen und abzuwägen.
Was bleibt aus meiner Sicht hier noch zu sagen? Der Vorhang mag gefallen sein, aber das Stück geht – so so oder so – weiter.
Weiterführende Literatur:
https://bldam-brandenburg.de/wp-content/uploads/2024/05/Denkmalreport-2023_24.pdf
https://bldam-brandenburg.de/wp-content/uploads/2025/02/Solarheft_2024_Druck.pdf
https://bldam-brandenburg.de/mehr-als-bewahren-die-imagekampagne-mehr-wert-zeigt-denkmalpflege-neu/
https://cdn0.scrvt.com/d19207df10fc2c2113c58b2103007ce0/22318087e46a3742/001839f3c895/Kab-Gestaltungssatzung.pdf