Archiv der Kategorie: Frieden

Wenn ein kommunaler Haushalt in Schieflage gerät oder was das im Umgang mit Investoren bedeuten kann

3. Oktober 2025

Dr. Marina Kreisel

Teil 1: Einsatztrainingszentrum (Königspark)

Es kam für die Öffentlichkeit, selbst unter Stadtverordneten, wieder einmal wie ein Blitz aus heiterem Himmel – nach den plötzlich auftauchenden 13‑Millionen‑Defizit im Haushalt kam diesmal die Mitteilung, wonach die Generalzolldirektion (GZD) im Königspark ein Einsatztrainingszentrum (ETZ) errichten lässt. Zugleich erschien ein Kommentar an die Einwohner unserer Kommune, mit dem die Stadtverwaltung und die Bürgermeisterin ihre Deutungshoheit herzustellen versuchen und zugleich bundesweite Aufmerksamkeit für KW als Standort (!) erhalten wollen, nicht als familienfreundliche Stadt, nicht als grüne Stadt. Im Kommentar aus dem Rathaus heißt es diesmal:

„Die Ansiedlung des Zolls ist ein wichtiger Meilenstein für Königs Wusterhausen. Mit dem Einsatztrainingszentrum entsteht ein hochmodernes Ausbildungs- und Trainingsumfeld, das unsere Stadt im Aus- und Weiterbildungssektor stärkt und überregionale Strahlkraft entfalten wird. Gemeinsam mit der geplanten neuen Hauptfeuerwache wird hier ein starkes Zentrum für Sicherheit, Bildung und Daseinsvorsorge entstehen – gute Nachbarschaft im besten Sinne. Dieses Projekt wird nicht nur die Ausbildung des Zolls stärken, sondern auch einen Mehrwert für unsere Bürgerschaft schaffen. Solche Ansiedlungen sind nur erfolgreich, wenn wir urbane Infrastruktur mitdenken. Der Königspark soll kein isoliertes Gewerbegebiet werden, sondern ein lebendiges Quartier, das auch für die Bürgerinnen und Bürger einen Mehrwert schafft.“

Und es heißt darin an anderer Stelle:

„Die Entwicklung des Königsparks mit seinen rund 56 Hektar Gesamtfläche stellt eines der wichtigsten Zukunftsprojekte der Stadt dar. Mit der Ansiedlung des Zolls wird ein starkes Signal gesetzt, dass Königs Wusterhausen im ‚Boom‑Korridor Südost‘ ein attraktiver Standort für Unternehmen, Institutionen und Fachkräfte ist.“
https://www.koenigs-wusterhausen.de/einsatztrainingszentrum-des-zoll-im-koenigspark-0d3edd44d1397a0c?f=miscellaneous&f=events&f=construction&f=town+hall&f=daycare+and+school&f=traffic&f=economy&f=urban+development&f=corona&f=politics&s=desc

Ja, die Wertungen können positiver kaum sein. Wie so oft sind sie hochstilisiert, vage; statt klar zu benennen, worum es geht, erfolgt eine aus der Werbung aufgegriffene Übertreibung, die den Einwohnern etwas „aufschwatzen“ will (statt sie wenigstens solide zu informieren): hochmodernes Ausbildungs- und Trainingszentrum, starkes Zentrum … Meilenstein für KW, überregionale Strahlkraft, starkes Signal, „Boom‑Korridor Südost“, Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger.

Das sind in diesem Falle – das sei betont – zum Teil Anleihen und Übernahmen aus dem Text auf der Seite von Periskop Development (bisher DLE), die bis hinein in die Wortwahl von Stadtverwaltung und Bürgermeisterin reichen. https://www.periskop.ag/news/periskop-development-veraussert-teilflache-des-projekts-konigspark-an-die-bima. (Da erinnert sich mancher Bürger fast an das Engagement des Ex‑Wirtschaftsministers Steinbach für Tesla und Musk, das zeitweilig gar devot, ja peinlich wirkte.)

Fragen wir also doch: Was geschieht derzeit hier in KW? Was ist bereits vorher geschehen? Wie ordnet sich das Projekt ein? Wie steht es mit der Planungshoheit der Stadt?

Aus meiner Sicht sind folgende Stränge zu beachten: voller Widersprüche, voller Zielkonflikte. Aber letztlich kommen Investoren mit ihren „Wünschen“ zum Zuge, weil es ihnen die Stadtverordneten mindestens mehrheitlich gestatten – teilweise mit nicht stichhaltiger Begründung, teilweise ihre ursprünglichen Entscheidungen selbst unterlaufend.

  1. Noch ist für den Königspark nur der alte B‑Plan (1992) gültig. „Der aktuell zugrunde liegende Bebauungsplan sieht eine ausschließliche Gewerbenutzung vor“, so wird es von den Autoren des Konzepts für den Königspark festgestellt. Eine Befürwortung eines veränderten B‑Plans für ein gemischtes Gebiet, wie sie das Unternehmen Periskop Development seit längerer Zeit zielstrebig verfolgt, hat es in der SVV KW bisher nicht gegeben. Ungeachtet dessen wird hier und da jedoch – besonders von Akteuren – so formuliert, als existiere der veränderte B‑Plan bereits. Diesen bestehenden „Schwebezustand“ nutzte Periskop Development nun auf besondere Weise, finanziell sehr tatkräftig, vermutlich auch unter dem Eindruck eigener, wohl nicht zufriedenstellender Bilanzen. https://www.northdata.de/Periskop%20Development%20GmbH,%20Berlin/Amtsgericht%20Charlottenburg%20(Berlin)%20HRB%20239078%20B

Das Unternehmen verkaufte der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) eine Teilfläche des Königsparks von 34.500 Quadratmetern zwecks Errichtung des ETZ, eines Behördenzentrums. „Die Ansiedlung des Zolls erfolgt unter aktuellem Baurecht in einem Teilbereich des ‚produktiven Quartiers‘“, heißt es in den Äußerungen von Periskop Development. Allerdings: Die Bezeichnung „produktives Quartier“ stammt aus dem Konzept für den Königspark und umfasst dort ursprünglich einen Gewerbebereich, benannt als Quartier für „Gewerbe / Produktion (Dienstleistungen / Produktion)“. Sie stammt meines Wissens nicht aus dem aktuellen B‑Plan. Folglich wird argumentativ – so meine Interpretation – fälschlich zusammengefügt, was nicht zusammengehört. Zudem: Auch wenn laut Baunutzungsverordnung (BauNVO) zum Gewerbe unter anderem Verwaltungsgebäude gezählt werden, so ist das ETZ doch weit mehr als ein bloßes Verwaltungsgebäude bzw. ‑zentrum. https://www.gesetze-im-internet.de/baunvo/__8.htm

Und im Konzept von Periskop Development ist unter „produktives Quartier“ keine Rede von einem derartigen Behördenzentrum, das als Einsatztrainingszentrum laut Planung ein Einsatztrainingsgebäude, eine Sporthalle und eine Raumschießanlage als zentrale Bestandteile umfasst. Auch die Bürgerbefragung zum Königspark – daran sei erinnert – erfolgte im Vorjahr auf der Basis des Konzepts ohne das ETZ. Auf dieser Basis – nicht mit dem ETZ – wurde abgestimmt: pro oder contra Königspark in der jeweiligen Variante (nur Gewerbegebiet oder Mischgebiet).

Allerdings: Innerhalb kürzester Zeit verabschiedete sich Periskop Development partiell von ihrem eigenen Entwurf für den Königspark – weg vom dort geplanten Handwerkerhof hin zum ETZ. Und Stadtverordnete dürfen nun angesichts des noch immer gültigen, nicht veränderten alten B‑Plans, der sich für das Unternehmen plötzlich geradezu als ein Glücksfall zu erweisen scheint, keine Forderungen stellen; denn die Entscheidung pro ETZ ist gefallen, entschieden andernorts, von anderen Akteuren, mit einem anderen Eigentümer. Was sich nun gewünscht wurde angesichts dieser von Periskop Development herbeigeführten Veränderung, war eine kleine Abänderung („Befreiung“) innerhalb des gültigen B‑Plans von der bisherigen, inzwischen als störend empfundenen Festsetzung. Nur das – nichts Weiteres war den Stadtverordneten gestattet. Und diese kommunalpolitische Entscheidung trafen nach eingeschränktem Sitzungslauf (ohne SVV‑Sitzung) im Hauptausschuss elf (!) Stadtverordnete aus allen Fraktionen – ohne Gegenstimme, ohne Enthaltung, aber unter Berücksichtigung einer einstimmigen Empfehlung aus dem Ausschuss für Stadtentwicklung (9 Ja‑Stimmen, keine Enthaltung). Was für eine Farce! https://www.maz-online.de/lokales/dahme-spreewald/zoll-plant-trainingszentrum-mit-schiessanlage-in-koenigs-wusterhausen-BZUWQG7CWBBQ5HSLZJRSKSAIE4.html

  1. Lassen wir den Werbeton unserer Bürgermeisterin beiseite und sehen uns genauer an, wie sich das ETZ Königs Wusterhausen in das Sicherheitsprogramm der Bundesregierung einordnet, das in der Zuständigkeit des Bundesfinanzministeriums und der Generalzolldirektion (GZD) liegt.

Zunächst sei dazu festgehalten: Seit dem Jahr 2016 gibt es Überlegungen zu einem derartigen Programm, doch dabei blieb es anfangs. Erst in jüngster Zeit – nach der ausgerufenen „Zeitenwende“ – wird sehr zügig mit seiner Realisierung begonnen. Ein Milliardenprogramm. https://www.bundesimmobilien.de/einsatztrainingszentrum-fuer-den-zoll-entsteht-in-immendingen-82b0b5caab9c4802. Das ETZ im Königspark ist eines von insgesamt elf derartigen Zentren, die gegenwärtig bundesweit netzartig entstehen und meist mit öffentlich vernehmbarer Werbung und Freude der jeweiligen Bürgermeister einhergehen. Generalauftragnehmer für die Errichtung dieser Zentren in serieller Bauweise ist das Unternehmen Goldbeck, das bereits maßgeblich am Bau von Tesla beteiligt war.

Die Ansiedlung eines solchen Zentrums des Zolls bringt laut GZD Vorteile wie:
– 55 neue feste Arbeitsplätze,
– bis zu 150 Trainierende pro Tag, die örtliche Geschäfte oder Gastronomiebetriebe nutzen,
– Förderung regionaler Unternehmen, die Dienstleistungen zur Versorgung, zum Unterhalt und zum Betrieb der Anlage übernehmen können – und das langfristig über einen Zeitraum von 30 Jahren,
– fachgerechte Beseitigung von Kontaminationen und Kampfmitteln auf den Liegenschaften und der unmittelbaren Umgebung durch die BImA (!).

(Inwieweit das so zutrifft, sei dahingestellt.)

Dass die Bürgermeisterin – mit einem auch von ihr und von Stadtverordneten verursachten spürbaren Haushaltsdefizit im Nacken – Vorteile nutzen will, liegt auf der Hand. Nur muss man wissen: Es gibt sie auch hier nicht ohne Nachteile (selbst wenn das Lieblingswort „Mehrwert“ sie wegzuretuschieren versucht). Die BImA nennt durchaus Probleme für Anwohner, teilweise jedoch nicht deutlich genug. Andere bleiben gänzlich unerwähnt. Das sind vor allem jene, denen sich die Stadtverwaltung und die Stadtverordneten von KW im Interesse der Stadt sehr gründlich hätten zuwenden müssen – und auch die Einwohner selbst. Das müsste besonders jetzt geschehen, da in der Bundesrepublik in verschiedensten Bereichen eine zunehmende Militarisierung erfolgt und Kriegstüchtigkeit entgegen dem Grundgesetz als neue Normalität gefordert wird, auch dort, wo dies bisher nicht erwartet wurde. Wie sieht es in dieser Situation hier mit dem ETZ in KW aus? In einer Kommune, die der internationalen Vereinigung „Bürgermeister für den Frieden“ angehört? Deren Bürgermeisterin zum 80. Jahrestag des Atombombenabwurfs zu den Gedenkveranstaltungen in Japan weilte?

Noch wird das ETZ in offiziellen Veröffentlichungen als eine Einrichtung mit zollspezifischen Aufgaben und Tätigkeiten gekennzeichnet: „Hier werden Zollbeamtinnen und ‑beamte ihre Einsätze trainieren – und das in sehr realitätsnahen Szenarien. So lassen sich in dem ETZ Situationen in Wohn‑ und Gastronomieflächen oder auch in Kfz‑Hallen simulieren. Laufstege ermöglichen dem Trainingspersonal eine effektive Überwachung und Leitung der Übungen, vier Meter über den Trainierenden. Die Raumschießanlage verfügt über drei Schießstände mit modernster Projektions‑ und Messtechnik. Verwaltungs‑ und Besprechungsräume runden das Konzept auf 13.500 Quadratmetern Bruttogeschossfläche ab.“ https://www.bundesimmobilien.de/neue-trainingszentren-der-zukunft-gruen-seriell-und-effizient-020e09c52e9ed351?utm_source=chatgpt.com

Würde das alles weiterhin so sein unter sich verändernden inneren und äußeren Bedingungen? Ich habe meine Zweifel; denn grundlegende Konflikte im Lande spitzen sich zu, das Trennungsgebot zwischen Polizei und Bundeswehr wird mehr und mehr verringert, die Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern erfolgt verstärkt und vielfältiger. Nicht allein der Bundeskanzler betont wiederholt öffentlich die Geringschätzung des Friedensgebots. https://www.zeit.de/news/2024-03/08/merz-frieden-gibt-es-auf-jedem-friedhof

Nein, man muss nicht Kassandra sein, um zu vermuten, was dann wahrscheinlich mit dem ETZ in KW (wie mit allen anderen zehn Standorten) geschehen könnte – ungeachtet heute anderslautender Aussagen und Regelungen: Im Ernstfall, wie auch immer bestimmt, ließen sie sich rasch in operative Stützpunkte umwandeln (z. B. für bewaffnete Kräfte) – das im Fälle von KW in dichter Nachbarschaft zum Wohngebiet Königspark. Und unter Umständen – abhängig von konkreten Bedingungen – wäre es ein Objekt militärischer Auseinandersetzung am Boden oder aus der Luft (siehe Erfahrungen aus anderen Ländern). Die Bewaffnung der Zollangehörigen und ihre in den ETZ erworbenen Fähigkeiten – bisher offenbar in diesem Umfang und in dieser Qualität nicht ausreichend – wären dann auch in paramilitärischen und militärischen Einsätzen vorzugsweise im Inland, in der eigenen Region, anwendbar. Ein nicht zwangsläufig eintretendes, aber sehr wohl denkbares Szenario; denn z. B. Heimatschutz, Wehrpflicht und erweiterter Waffenbesitz von Reservisten sind längst nicht mehr bloßer Diskussionsgegenstand, sondern werden zunehmend Teil der neuen deutschen Militarisierung. https://www.vdb-waffen.de/d/svg8ek94.pdf

Und gerade erst absolvierte die Bundeswehr in Hamburg eine NATO‑Übung, die u. a. auf die Verbesserung der zivil‑militärischen Zusammenarbeit zielte. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194381.nato-manoever-in-hamburg-proteste-gegen-manoever-in-hamburg-gegen-die-innere-zeitenwende.html

Folglich: Die Entscheidung für das ETZ in KW stellt sich aus meiner Sicht mindestens janusköpfig dar; das ETZ könnte sehr schnell eine bedrohliche Seite entwickeln. Eine gute Nachbarschaft wäre das nicht. Wohl aber eine intransparente Nachbarschaft. Rechte für die Stadt gegenüber der GZD? Nein, ich vermag keine überzeugende Begründung zu erkennen, das ETZ für unsere Kommune zu lobpreisen, nach allem, was darüber zu vernehmen ist. Die Bürgermeisterin Michela Wiezorek, die sich als Pazifistin versteht, sieht diese Seite nicht?

Hervorgehoben sei zudem: Periskop Development bot in dieser Phase hier eine besondere Lehrstunde – für den aufmerksamen Betrachter. Sie zeigte meines Erachtens eindrücklich, dass ihre Versprechungen und Absichtserklärungen, wie sie sich in der Konzeption für den Königspark ursprünglich niedergeschlagen haben (auch verwendet in der Bürgerbefragung), nur eine relativ geringe Halbwertzeit aufweisen. Dass sie partiell hinfällig werden, wenn dem Unternehmen andere Aspekte nunmehr bedeutsamer zu sein scheinen. Nicht nur in finanzieller, sondern vielleicht auch in strategischer Hinsicht: um in der gewählten Weise – Verkauf einer Teilfläche an die BImA für die Errichtung des ETZ – Fakten zu schaffen, die ein mehrheitliches PRO für den veränderten B‑Plan Königspark in der SVV geradezu erzwingen. Da wären sogar gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Allerdings nur, wenn die Glaubwürdigkeit nach dieser Transaktion nicht nennenswert gelitten hätte. Und wenn sich eine Mehrheit in der SVV auch darauf einließe, in ihrer Entscheidung letztlich über das Handeln von Periskop Development gesteuert zu werden. Das wäre dann aus meiner Sicht ein weiteres Beispiel für eine Allianz zwischen der Macht des Geldes und der Unmündigkeit von Kommunalpolitikern.

Bemerkung am Rande: Gegenwärtig ist auf der Internetseite von Periskop Development unter „Team“ Herr Prof. Dr. Steinbach, Ex‑Wirtschaftsminister des Landes Brandenburg, als Berater angegeben.

Literaturempfehlungen zur Vertiefung:

https://www.nw.de/lokal/bielefeld/mitte/23924105_Mega-Auftrag-fuer-Bielefelder-Unternehmen-Goldbeck-Baukosten-waren-Streitthema-v1.html
https://www.n-tv.de/politik/Lindner-will-Schiessanlagen-fuer-eine-Milliarde-Euro-bauen-article24042099.html
https://etz-serie.bundesimmobilien.de/ein-beitrag-der-bima-zur-energiewende-9913aca1fda7d3d9
https://www.bundesimmobilien.de/gruen-seriell-und-effizient-trainingszentren-der-zukunft-fuer-den-zoll-959f943076939fce
https://www.wirtschaftskurier.de/titelthema/artikel/jan-hendrik-goldbeck-baut-teslas-fabrik-in-deutschland-und-ist-macher-der-woche.html
https://cdn.prod.website-files.com/674d680bb4208b9e97a7c488/689209c897d9bef9311ac081_Immobilienmarktreport%20Deutschland_Q22025.pdf

„Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“ *)

23. Juli 2023

Dr. Marina Kreisel, Zeesen

Ein offener Brief.

Sehr geehrte Frau Landtagsabgeordnete Fischer, sehr geehrter Herr Landtagsabgeordneter Scheetz, sehr geehrter Herr Landtagsabgeordneter Keller,

mich erreichte kürzlich ohne mein Zutun der Brandenburgkurier (SPD-Fraktion Brandenburg) mit dem Slogan „Wir machen Zukunft“. Ich werte ihn als einen Versuch, einen Teil Ihres politischen Denkens und realen /beabsichtigten Tuns zu skizzieren und zu erklären, mit viel Optimismus. Der Versuch ist Ihnen wichtig genug, deshalb treten Sie auf diesem Wege an uns Bürger heran. (Ich deute ihn zudem als einen Beitrag zur bevorstehenden Landtagswahl.) Das geschieht meines Erachtens aber leider im Sinne einer Einbahnstraße; denn  Meinungsäußerungen von Lesenden, eigene Vorschläge usw. sind nach meiner Interpretation nicht gefragt, ansonsten wäre vermutlich ein entsprechender Hinweis im Blättchen enthalten. Dabei wäre manches zum Dargestellten zu sagen, auch Grundsätzlicheres. Hierzu nur ein Aspekt: Sicherung einer langfristigen, effektiven, sozialen (Trink)wasserversorgung. Ohne sie sind alle Träume, alle Absichten schnell verwirkt, mancher Bau, manches Werk, mancher Ort mit einst menschlichem Leben – das zeigt uns ein Blick in Gegenwart und Vergangenheit außerhalb unseres Bundeslandes – inzwischen verweist. Obwohl so nie erwartet.

Und: Als unangemessen, ja falsch betrachte ich die folgende Position in dem von Herrn Keller formulierten Vorwort: „Wir als SPD-Fraktion wollen für die Menschen Politik machen,  …“ Nein, nicht mindestens auch mit ihnen? Und da werden Sie im offenen Dialog manches Kritische, Ablehnende erfahren; auch auf Reaktionen von Regierungs- und Landespolitik bezüglich des Ukraine-Krieges und damit einhergehender Folgen /Handlungen im Land Brandenburg. So Sie  sich einem solchen Dialog auch hierzu stellen.

Bei der Gelegenheit möchte ich Sie auf ein Kontrastprogramm verweisen, das ich vor wenigen Tagen als Bürgerin erleben konnte; es bestand zwischen der Bundespressekonferenz  des Bundeskanzlers einerseits und dem Zweiten Friedensgespräch in Königs Wusterhausen andererseits (maßgeblich initiiert und dort moderiert von der Stadtverordneten Birgit Uhlworm). Worin zeigte sich aus meiner Sicht dieser Kontrast inhaltlich und personell? Einerseits ein Bundeskanzler mit SPD-Parteibuch, der die Politik seiner Koalitionsregierung und der EU/USA/NATO als Reaktion auf den Ukraine-Krieg nach innen und außen als angemessen und zukunftsträchtig ansieht und darstellt, der sie unbeirrt fortzusetzen beabsichtigt – das trotz ausgeprägter existenzieller Gefahren, trotz entgegengesetzter Positionen in der internationalen Welt und innerhalb des eigenen Landes. Andererseits Menschen dieses Landes – nicht allein aus Königs Wusterhausen  und Brandenburg, die sich in großer Sorge unter dem Thema „Stehen wir vor einem Welt- und Atomkrieg?“ (Vortrag von Christoph Krämer, Chirurg und Mitglied des IPPNW, Deutsche Sektion) trafen, mit anderer Sicht als der Kanzler auf die von ihm vertretene Politik, auf die Welt von heute. Unumwunden, gestützt auf statistische Angaben (u.a. Vergleich Abwurf der damaligen Atombomben mit ihrem Potenzial, heutige Atombomben mit ihrem viel gewaltigeren Potenzial), gab der Mediziner Christoph Krämer – hier im Falle eines atomaren Krieges (ob gezielt oder aus Versehen) – zu verstehen: Wir als Ärzte können euch in dieser Situation nicht helfen. Dessen war ich mir und bin ich mir bewusst. Auch, dass das auf viele andere Situationen in einem traditionellen Krieg zutrifft.

Der Optimismus, den der Bundeskanzler auf der o.g. Bundespressekonferenz ob der Ukraine-Allianz  und der bundesdeutschen Regierungspolitik  zu verbreiten versuchte, verbunden mit ein wenig trockenem Humor, wurde angesichts ihrer gefährlichen Drahtseilakte  von den Anwesenden im Zweiten Friedensgepräch nicht geteilt. Die Friedensgespräche im Rathaus KW wie die Friedensmahnwache in unserer Kommune, die inzwischen hier über fünfzig mal stattgefunden hat, werden in einer Stadt durchgeführt, die, wie Sie sicher wissen, der internationalen Vereinigung „Bürgermeister für den Frieden“ angehört. Sie werden fortgesetzt. Ob und wann sich auch Mitglieder der SPD, auch der SPD-Fraktion in KW daran beteiligen werden? Bisher konnte ich sie hier nicht entdecken.

Ich kann mich von außen des Gefühls nicht erwehren, selbst SPD-Vertreter in der Kommunalpolitik verstünden sich gegenwärtig stark als Teil eines Kanzlerwahlvereins, als  Unterstützer des Kanzlers. Als Unterstützer einer meines Erachtens falschen Politik, die massive Aufrüstung und Feindbilder einschließt, ja produziert. Zugleich sehen sie sich vielleicht auch wegen einer so aufgefassten Rolle nicht in der Lage, an Friedensgeprächen teilzunehmen, die einen anderen Ansatz verfolgen als den der offiziellen Politik und den zahlreicher Medien? So läuft man Gefahr, sich als Person und/oder Partei zu amputieren.

Und Zukunft für uns Menschen wird ohne Frieden kaum zu haben sein, sie braucht Frieden (und das ist mehr als die im Vorwort benannte Sicherheit).


Birgit Uhlworm und Dr. Christoph Krämer

© Fotos Stadtfunk KW

*)  „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“ ein Satz von Egon Bahr, SPD

(Anmerkung der Redaktion am 26.7.2023: Obwohl persönlich adressiert, kam von keinem der Adressaten bisher eine Antwort)