Der Politiker im Wechselspiel von Wollen und Können

22. Mai 2021

Ein Kommentar von Dr. Dieter Füting

Ist es überhaupt möglich, so mir nichts dir nichts zu beschließen: Ab morgen werde ich Politiker, bewerbe ich mich für das Amt eines Bürgermeisters?
Nein, das geht gar nicht! Auf diese Idee kommt man nur, wenn man sich einer Partei zugehörig fühlt. Wenn man von dieser Partei vorgeschlagen wird, ein gerüttelt Maß an Selbstüberschätzung vorweisen kann und der Meinung ist, die eigene Stufe der Inkompetenz noch nicht erreicht zu haben.

Jeder aktive Politiker hat jedem anderen einen langen zermürbenden inneren Prozess voraus. Und er hat die Einsicht voraus, dass er sich zwangsläufig im Zwiespalt befinden muss. Der Zwiespalt kommt aus der Erkenntnis, dass sich jeder entfremdet in einer Welt, in der nur die zählbare Produktivität Wert hat. In einer Welt, in der jeder unablässig den Projektionen anderer ausgesetzt ist, muss versucht werden, reflektiert genug zu sein, um die Suche nach dem eigenen Anspruch nicht zu gefährden.

Es ist die Suche nach dem eigenen Ich. Herausfinden, wer man ist in dieser Welt und wer man sein will. Die Suche nach dem, was das Spezielle, das Antreibende, das Kreative in der eigenen Person ist. Es ist die Suche nach dem Unbewussten im Wechselspiel mit dem Verständnis seines anerzogenen Wesens. Das paradoxe Ergebnis ist ein Kompromiss. Der Kompromiss, dass sich der Politiker entfremden muss, um zu erkennen, unter welchen Bedingungen er zielstrebig arbeiten kann und was er selbst an Originalität beitragen möchte. In einer Kultur, in der nach festen und unveränderlichen Schranken gegriffen wird, können nicht alle oder wollen nicht alle es wagen, diese Schranken zu überwinden. Diese Entscheidung muss letztlich jeder für sich selbst treffen. Das Glück, heißt es, ist mit dem Mutigen. Aber erst die Einsicht in diese Prozesse, mit der Leidenschaft nach der Suche, sichert die Akzeptanz der Menschen und sichert das Überleben.

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