Manche Briefe machen ungewollt Aufregung. Als ein solcher könnte sich der Brief „Füreinander. Miteinander.Dahme-Spreewald“ erweisen, über Facebook hinaus. Er ist unterzeichnet von der Landratskandidatin Susanne Rieckhof, vom Wahlkampfleiter Oliver Strank, den Vorsitzenden des Unterbezirks der SPD Katharina Knaack und Christian Könning, und er richtet sich – so lese ich ihn – vornehmlich an die (?) Genossinnen und Genossen in LDS. Gebraucht wird ihre finanzielle Unterstützung für den Wahlkampf um das Landratsamt LDS; 80.000 € sind dafür veranschlagt, 23.000 € fehlen noch. Sie sollen, ja sie müssten als Spenden von SPD-Mitgliedern des Unterbezirks (UB) erbracht werden – soll der Wahlkampf „Aussicht auf Erfolg haben“ (Brief). Und er muss laut Aussage der Unterzeichnenden Erfolg haben – für die SPD. Deshalb ist klar: „Wir führen den Wahlkampf intensiv und mit aller Wucht“ (Brief). Das ist ihr gutes Recht. Aber was macht die Wucht aus, wo hört sie auf, wo sollte sie aufhören?
Aus meiner Sicht ist der vorliegende Brief nicht nur ein apellierender Text, der zum Handeln aller UB-Genossen aufruft, sondern auch ein bloßlegender Text; denn er sagt etwas aus mindestens über Denkweisen, Selbstverständnis, über Realitätsbezug bzw. -mangel der SPD-Autoren und wirft Fragen auf:
1. „Es geht jetzt um alles: Es geht darum, dass wir als SPD die Erfolgsgeschichte unseres Landkreises fortschreiben können. Und zwar für alle Menschen, ganz egal, wo sie herkommen, seit wann sie hier leben und woran sie glauben.“
Mit Verlaub sei angemerkt: Eine Erfolgsgeschichte, frei von erheblichen Defiziten? Oder: Wenn die Entwicklung – gespiegelt in wiederkehrenden bundesweiten Landkreis-Rankings – auch in der Kommunalpolitik als erfolgreich gilt, hätte dieser Erfolg dann in LDS nicht mehrere Mütter und Väter? Also nicht allein die SPD? Könnte dann nicht erst recht auch davon ausgegangen werden, dass er mit anderen durchaus fortsetzbar wäre?
Und wenn es eine Erfolgsgeschichte für alle Menschen in LDS wäre, wie erklären sich dort zugleich Armut, prekäre Lebensverhältnisse für einen Teil der Bevölkerung, von Kindern und Jugendlichen? Können diese Menschen die Entwicklung in LDS als eine Erfolgsgeschichte wahrnehmen, empfinden?
2. „Jeder von uns merkt: Die Stimmung in der Bevölkerung ist nicht mehr selbstverständlich pro SPD.“ Ja, die Stimmung gegenüber der SPD – bleiben wir hier nur bei ihr – hat sich verändert, aber sie war – auch in LDS – nie selbstverständlich pro SPD. Es gab immer (!) auch eine beachtliche Zahl von Bürgern, die eine andere Wahlentscheidung trafen. Das änderte allerdings nichts daran, dass die SPD fast unangefochten wichtige Ämter innehatte. Daran konnte sie sich gewöhnen – trotz dieser oder jener Unterbrechung (siehe S. Ennullat als Bürgermeister in KW), darauf ihre Perspektive stützen. Aber das ist nun sehr fraglich geworden – auch aus Gründen, die im Brief nur allgemein angesprochen werden (das ohne Nennung des Ukraine-Krieges); sie aber bewegen Bürgerinnen und Bürger ganz real, konkret.
3. Es gibt auch außerhalb der SPD viele Mitbürger, die sich wünschen, dass sich LDS „nicht blau färbt“ (Brief), das auch nicht im Zuge der Landratswahl. Aber das heißt nicht gleichermaßen, dass das Landratsamt weiterhin in der Hand der SPD verbleiben solle. Es heißt aber ebenso: Falls der AfD-Kandidat Steffen Kotré die Wahl gewönne, bedeutete das, dass ihn eine ausreichende Zahl von Bürgerinnen und Bürgern in LDS bewusst und freiwillig in dieses Amt gebracht hätte, in ein Amt mit „Gestaltungsmacht“ (Brief); sie wäre ihm – neben seiner Weisungsgebundenheit – als Mitglied der AfD ermöglicht: das per Abstimmungsverhalten von Wählern und als Teil einer bereits länger andauernden Entwicklung in der Bundesrepublik. Ein Wahlsieg von Steffen Kotré bedeutete jedoch (noch) nicht, dass „Rechtsextreme […] hier bei uns die Gestaltungsmacht an sich reißen“ (Brief). Auch wenn die AfD versucht, die Wähler in ihrem Sinne zu beeinflussen, das zum Teil erfolgreich – bestünden nicht zwischen beiden Vorgängen Unterschiede? Eine demokratisch vollzogene Übergabe einerseits, eine gewaltsam erscheinende Übernahme andererseits. Wo würde sich in dieser Wahl eine derartige Übernahme abzeichnen?
4. Und wo ist der gern zitierte Respekt vor anderen, wenn im Brief unterstrichen wird, zudem zu verhindern, dass „mit Herzberger auch Ennullat und Konsorten ins Landratsamt einziehen“ (AfD-Kandidat ohnehin)? Auch intern sollte meines Erachtens auf derartige abwertende, herabsetzende Formulierungen verzichtet werden, um der Verinnerlichung eines entsprechenden Wortschatzes in der Gruppe /SPD keinen Vorschub zu leisten. Zudem spiegeln sich darin Denkweisen wider. Sie müssten infrage gestellt, doch nicht befestigt werden (zumal ihre Befestigung über Gruppennormen ja leicht geschehen kann). Und: Was spricht personell und inhaltlich gegen Sven Herzbergers Einzug in das Landratsamt? Was wäre schlechter unter ihm als unter der verständlicherweise eigenen, favorisierten Kandidatin?
5. Dass Politik Darstellungen, Erzählungen (neudeutsch: Narrative) braucht bzw. verwendet, damit sich Menschen, selbst eigene Parteimitglieder, in gewünschter Weise verhalten – auch gegen ihre eigenen Interessen –, in gewünschter Weise denken, erleben wir seit dem Ausrufen der Zeitenwende verstärkt; Narrative müssen nicht stimmen, wohl aber glaubhaft, überzeugend wirken. (Da verteidigt die Ukraine schon einmal die westliche Freiheit und Demokratie, und der russische Präsident Putin wird dämonisiert.) Davon scheint mir auch der Brief nicht frei zu sein, indem er diese Landratswahl folgendermaßen kennzeichnet, sie überhöht: „Nicht zuletzt geht es auch darum, gemeinsam eine starke Basis für alle weiteren Wahlen im Superwahljahr 2024 mit Kommunalwahlen, Europawahl und Landtagswahl zu schaffen, und schließlich um unsere gemeinsame politische Zukunft als SPD in Dahme-Spreewald. Diese Wahlen können wir nur gewinnen, wenn wir eine starke Landrätin in Dahme-Spreewald stellen.“ (Brief)
Nein, sehr geehrte Frau Rieckhof und Mitstreiter, diese Wahlen werden aus anderen Gründen gewonnen oder verloren – sofern sie überhaupt noch im Frieden stattfinden können. Bisher ist es auch die SPD, die an einem Regierungskurs festhält, mit dem verheerende Folgen – bis in Landkreise hinein – in Kauf genommen werden. Dazu gehört offensichtlich auch ein Erstarken der AfD, das laut Brief verhindert werden solle. Was für Widersprüche! Und die Landratskandidatin schlägt die Hände an die Hosennaht und bezieht öffentlich keinerlei Position zum Handeln ihrer Regierungspartei? Umgibt sich mit Kanzler und Parteivorsitzendem als Begleitung in ihrem Wahlkampf – mit jenen Personen, die diesen Kurs maßgeblich verantworten. Was kann ich davon als Bürgerin halten?
Schließlich: Immer wieder wird der Wechsel über Wahlen als ein Ausdruck lebendiger Demokratie betont, das auch gegenüber anderen Systemen. Was wäre folglich so dramatisch, wenn sich nach Jahrzehnten SPD-Landräte die SPD von diesem Amt in LDS vorerst verabschieden müsste? Nichts ist für die Ewigkeit.
Damit sich der geneigte Leser auch das Original durchlesen kann hier ein Faksimile des Briefes (Red.)