Wenn ein kommunaler Haushalt in Schieflage gerät – oder was das für den Umgang mit Investoren bedeuten kann

13. Oktober 2025

Dr. Marina Kreisel

Teil 2: Wiesenhof in Niederlehme

Ein Gutachten mit Folgen und grundlegenden Fragen

Ein Haushalt in Schieflage oder gar ein defizitärer Haushalt entsteht nicht einfach so. Daran haben – meist in unterschiedlichem Maße – sowohl äußere als auch zahlreiche innere Ursachen Anteil. Ein defizitärer Haushalt wirft, insbesondere in der gegenwärtigen Zeit, viele Fragen auf. Mit diesen Fragen muss gründlich umgegangen werden, um herauszufinden, warum Königs Wusterhausen in der Ära Wiezorek in diese letztlich von Menschen geschaffene Situation geraten ist und auf welche Weise sie überwunden werden kann. Mit welchen Folgen – für wen? Und in welchen Abwägungsprozessen – von wem entschieden?

Das alles müssen Stadtverwaltung und Stadtverordnete wollen, beherrschen und kommunizieren können – ob mit oder ohne externen Sachverstand. Und das alles braucht Zeit zur Bearbeitung. Doch wenn der Druck sehr groß ist oder größer dargestellt wird, als er tatsächlich ist, besteht erst recht die Gefahr hektischen, verkürzten, einseitigen und zutiefst widersprüchlichen Handelns. Und manches, was besonders intensiv erörtert werden müsste, um nicht gleich die nächsten Fehler zu machen, erfährt in den kommunalpolitischen Gremien nicht die nötige Behandlung. Das scheint sich gegenwärtig auch am Beispiel Wiesenhof zu zeigen – vermutlich noch verstärkt angesichts des jüngst erstellten externen Gutachtens zur Haushaltslage, das grundlegende Finanzierungsprobleme der Stadt aufzeigt und teilweise lediglich bestätigt, wovor in der Vergangenheit immer wieder vereinzelt gewarnt worden ist – vergeblich. Denn es fällt, so meine Beobachtung über die Jahre hinweg, nicht wenigen Personen in Stadtverwaltung und Stadtverordnetenversammlung schwer, zwischen einem „ungeliebten“ Diskutanten und den dargestellten Sachverhalten zu unterscheiden und offen gegenüber dessen Einwendungen, Argumenten und Bewertungen zu sein.


Veränderte Ansiedlungspolitik in Königs Wusterhausen – ein möglicher Weg mit Vorteilen, Nachteilen und neuen Problemen

Im Gutachten werden mögliche Wege zur Überwindung der finanziellen Defizite angesprochen. Als ein solcher Weg wird vom Gutachter Müller-Elmau nicht lediglich eine veränderte, sondern sogar eine „aggressive Ansiedlungspolitik“ genannt – auch wegen einer Unternehmensansiedlung in Königs Wusterhausen, die er bisher als gering einschätzt. Zu einer inhaltlichen Ausgestaltung dieses Ansatzes, der in deutschen Städten und Gemeinden unterschiedlich aussehen kann, äußert sich der Gutachter nicht. Begrifflich bleibt alles vage.
(Quelle: MAZ-Artikel)

Im Kern geht es bei einer aggressiven Ansiedlungspolitik – ungeachtet zahlreicher Unterschiede hinsichtlich der gewählten Ansätze und Maßnahmen – um starke Anreize für Unternehmen, zu kommen oder zu bleiben. Damit solche Maßnahmen zum Erfolg führen – oft in Konkurrenz mit anderen Kommunen –, sind Stadtverwaltung und Kommunalpolitiker, abhängig von der Verfasstheit ihrer Kommune, immer wieder zu großem Entgegenkommen bereit. Das betrifft beispielsweise die Aufstellung oder Veränderung von Bebauungsplänen, Teil-Flächennutzungsplänen, die Umwandlung von Waldflächen in Gewerbegebiete oder auch verschiedene Formen des Verzichts.

Das geschieht selbst dann, wenn solche Ansiedlungen zahlreiche negative Folgen für die eigene Bevölkerung bedeuten oder beachtliche Unwägbarkeiten einschließen, die die Daseinsvorsorge – etwa die Versorgung mit Trinkwasser oder die Neubildung von Grundwasser – betreffen und diese in der Zukunft gefährden können. Was dort geschieht, sind im Grunde oft Wetten darauf, dass eine erhoffte Entwicklung tatsächlich eintritt – Wetten von Stadtverordneten und Verwaltungen, nicht selten im Widerspruch zu berechtigten Bedürfnissen, Interessen und Einwendungen zahlreicher Bürgerinnen und Bürger.


Wiesenhof zwischen Akzeptanz und Ablehnung in der Bevölkerung

Genau damit haben wir es auch in Königs Wusterhausen im Umgang mit Wiesenhof zu tun – mit jenem Unternehmen, das 1991 das DDR-Kombinat für Industrielle Mast (KIM) im Zuge der Privatisierung übernahm und es im Laufe der Jahrzehnte unter dem Dach der PHW-Gruppe weiterentwickelte. Denn der Standort, Mitte der sechziger Jahre errichtet, passte wirtschaftlich gut in das Profil des heutigen Global Players, der – anders als vom hiesigen Geschäftsführer André Hüttemeyer behauptet – nicht nur in Deutschland für Deutschland produziert, sondern auch in Polen, Bulgarien und den Niederlanden tätig ist. Immer abhängig davon, was für die PHW-Gruppe unter jeweiligen Bedingungen wirtschaftlich besonders sinnvoll und politisch möglich ist – also profitabel.

Die seit mehr als sechs Jahrzehnten bestehende industrielle Geflügelproduktion prägt das Verhältnis zwischen dem Betrieb und der Bevölkerung. Einerseits zeigt sich eine gewisse Gewöhnung an den Standort und den Konsum der Produkte. Andererseits gibt es fortdauernde Auseinandersetzungen wegen Immissionsbelastungen und anderer Verstöße, einschließlich solcher gegen das Tierwohl.

Es sind längst nicht mehr nur betroffene Anwohnerinnen und Anwohner, die sich engagieren – auch weil sie die Immissionen unmittelbar spüren und eher erkennen, was im Umfeld der Produktion geschieht. Zur Erinnerung: Die Aufdeckung illegalen Produzierens im Werk Niederlehme – über die behördlich genehmigte Menge hinaus – ging maßgeblich auf die Bürgerinitiative „KW stinkt’s“ zurück, nicht auf die zuständigen Behörden, nicht auf die Stadtverwaltung und nicht auf gewählte Stadtverordnete.
(Quelle: kw-stinkts.de)


Neue Anträge von Wiesenhof – mehr als nur die Aufstellung eines Bebauungsplans

Wiesenhof muss also nicht erst durch lukrative Anreize von Stadtverordnetenversammlung oder Stadtverwaltung in die Kommune geholt werden. Die jahrzehntelange Existenz hier hat sich für die PHW-Gruppe offensichtlich gelohnt – trotz wiederholter Auseinandersetzungen, Gerichtsverfahren und behördlicher Auflagen.

Die aktuellen Anträge des Unternehmens betreffen das eigene Grundstück und zielen auf zwei Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung:

  1. die Aufstellung eines Bebauungsplans „Geflügelschlachthof Niederlehme“ und

  2. die Einleitung des Bauleitplanverfahrens zur zweiten Änderung des Teil-Flächennutzungsplans Niederlehme 1.

Beide Beschlussvorlagen dienen der Ausweisung eines „Sondergebietes Schlachthof und -verarbeitung“ anstelle der bisherigen Kennzeichnung als Gewerbegebiet.

Der Geschäftsführer André Hüttemeyer begründete dies in seinen öffentlichen Vorträgen im Ortsbeirat Niederlehme und im Stadtentwicklungsausschuss mit der langfristigen Sicherung des Standortes und der Arbeitsplätze – im Wettbewerb innerhalb der PHW-Gruppe und international. Dafür müsse die Produktion fast verdoppelt werden, was bauliche Erweiterungen auf dem Grundstück erfordere. Dies alles, so Hüttemeyer, geschehe ohne zusätzlichen Wasserverbrauch – dank veränderter, intensiverer Produktionsprozesse. Zudem nehme der Konsum von Hühnerfleisch statistisch zu. Wiesenhof sei zudem ein auf das Tierwohl bedachtes Unternehmen, was durch Zertifikate belegt werde.
(Zum Kontrast zwischen dem Label der Initiative Tierwohl und realen Haltungsbedingungen siehe Report Mainz)


Zu Problemen und Ergebnissen im bisherigen Umgang mit den Beschlussvorlagen

Im bisherigen Sitzungsverlauf empfahl die große Mehrheit der Stadtverordneten beide Beschlussvorlagen zur Annahme in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 13. Oktober 2025 – vermutlich auch unter dem Eindruck des defizitären Haushalts, aber wohl ebenso unter dem Einfluss der Darstellung durch Herrn Hüttemeyer.

Als Hauptargumente dienten:
a) die Sicherung des Standortes,
b) der Erhalt der Arbeitsplätze und
c) erwartete Steuereinnahmen.

Belege hierfür fehlen. Alles bleibt auf allgemeiner Ebene; lediglich die aktuelle Zahl der Beschäftigten ist bekannt. Die Immissionsproblematik – auch im Hinblick auf die geplante Schulerweiterung in unmittelbarer Nähe – sowie die Wasserproblematik, mehrfach von Einwohnerinnen und Einwohnern betont, scheinen vielen Stadtverordneten unter dem Eindruck der Verwaltung als „irrelevant“ zu gelten.

Diese Themen werden offenbar mit gutem Gewissen an das Genehmigungsverfahren delegiert, das vom Unternehmen selbst beim Landesumweltamt beantragt wurde. Doch dies wäre eine Flucht vor der eigenen Verantwortung als gewähltes Mitglied der Stadtverordnetenversammlung.

Rechtliche Fragen zur Wassernutzung bestehen seit Langem (vgl. Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 25. September 2020, VG 5 L 292/19). Im laufenden Verfahren beantragt das Unternehmen wasserrechtliche Erlaubnisse gemäß § 8 in Verbindung mit § 10 Wasserhaushaltsgesetz bei der unteren Wasserbehörde des Landkreises Dahme-Spreewald.

Gegenstand dieser Verfahren sind:
– Grundwasserentnahme einschließlich Versickerung von Rückspülwasser,
– Versickerung von Niederschlagswasser und Wasser nach Anhang 31 der Verordnung über Anforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer.
(Gemeinsame Bekanntmachung des Landesamtes für Umwelt und des Landkreises Dahme-Spreewald, untere Wasserbehörde, vom 9. September 2025)

Da will man als Stadtverordneter, wenn es um die Aufstellung eines Bebauungsplans unter solchen Bedingungen geht, nichts Genaueres wissen? Oder keine Festlegungen aufnehmen – etwa zur Wasserwiederaufbereitung, wie sie beispielsweise in Grünheide von Tesla nachgerüstet und genutzt wird?

Nehmen wir die PHW-Gruppe beim Wort und fordern wir sie auf, sich praktisch verstärkt der Wasserproblematik in Niederlehme zuzuwenden – ihr Nachhaltigkeitsbericht 2023 sollte Anlass dafür sein.
(PHW-Gruppe Nachhaltigkeitsbericht 2023)

Darüber hinaus gab es rechtliche Einwendungen, die von der sachkundigen Einwohnerin E. in zwei Sitzungen öffentlich vorgetragen wurden – etwa Bedenken wegen unzulässiger Investorenplanung und eines möglichen Verstoßes gegen § 2 Absatz 1 Baugesetzbuch. Diese Einwände wurden weder aufgegriffen noch vertieft.

Vielleicht liegt dies auch an der übervollen Tagesordnung vieler Sitzungen: Wer sich durch zahlreiche Punkte arbeiten muss, verliert irgendwann die Aufmerksamkeit – und stimmt am Ende eher zu. Auch so entsteht Oberflächlichkeit in der Behandlung kommunaler Entscheidungen.


Ausblick

Wie in der Stadtverordnetenversammlung entschieden wird, wissen wir am Abend des 13. Oktober 2025. Dann wird sich zeigen, ob sich die Stadtverordneten auf eine Wette mit einem Global Player eingelassen haben – auf eine Absichtserklärung ohne jeden juristischen Wert. Denn ob das Unternehmen langfristig bleibt oder sich zurückzieht, hängt letztlich nicht von den Angeboten aus Königs Wusterhausen ab, sondern wird anderswo im Konzern entschieden – je nach wirtschaftlicher Lage, Trends und Prognosen.

Nach der Sitzung wird sich auch zeigen, ob die Sorgen, Bedenken und Einwendungen zur Immissions- und Wasserproblematik ernst genommen werden oder ob die Verantwortung einfach delegiert wird.

Ganz gleich, wie die Entscheidung ausfällt – auch eine Vertagung bis nach Abschluss des Genehmigungsverfahrens wäre denkbar –: Auf die Teilnahme an diesem Verfahren sollten möglichst viele Bürgerinnen und Bürger nicht verzichten. Es geht um nichts Geringeres als um Daseinsvorsorge und die Existenzgrundlagen von Mensch und Tier im lokalen Bereich.
(BUND Brandenburg zur Wasserpolitik)


Anmerkung:
Die genaue Bezeichnung des Betriebes lautet Märkische Geflügelhof-Spezialitäten GmbH.

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