Die LINKE, der Superstar und die Stadt Königs Wusterhausen

6. August 2017

Matthias Fischer

Mich beschäftigt mehr als bei allen früheren Wahlen, wo ich denn bei der kommenden Bundestagswahl mein Kreuz machen könnte. Wofür ich bei der Bürgermeisterwahl stimme, ist wohl klar und hinlänglich bekannt, bei der Bundespolitik scheint mir die LINKE als einzige konsequente Friedenskraft sympathisch. Das wollte ich aber genauer wissen.
Bei meinem letzten Marktbesuch in Königs Wusterhausen hatte ich das Werbeplakat für eine Veranstaltung der LINKEN im KW-Eventcenter gesehen. Also machte ich mich gestern auf, selbige zu besuchen. Ein wenig spät gekommen, weil es in unserer Stadt keinen nennenswerten ÖPNV gibt und die Parkplatzsuche im Bahnhofsumfeld auch um diese Zeit noch schwierig war, fand ich im vollbesetzten Saal doch noch einen freien Platz, zwar in der äußersten Ecke, aber immerhin dritte Reihe. Da musste ich zum ersten Mal an einen Text von Tucholsky denken. Es gab zwar kein Freibier, aber auf jedem Sitz lag ein roter Kugelschreiber nebst einem nett aufgemachten Wahlprogramm.
Pünktlich zu Beginn nahmen die Protagonisten auf der Bühne Platz und wir durften lernen, dass es nicht allein um die Bundestagswahl ging, schließlich wählen wir ja am 24. September auch den neuen Bürgermeister in Königs Wusterhausen. So waren auf der Bühne eine Menge Leute vertreten. Der Bundestagskandidat der LINKEN im Wahlkreis 62 Carsten Preuß als Organisator der Veranstaltung hatte neben sich auf das Podium die von der LINKEN unterstützten Bürgermeisterkandidaten Gudrun Eichler (Königs Wusterhausen) und Sven Herzberger (Zeuthen) sowie den Brandenburger Minister für Justiz, Europa und Verbraucherschutz, Genosse Stefan Ludwig, geladen.
Da Superstar Gregor Gysi sich um 20 Minuten verspätete, gab es erst einmal eine Vorstellungsrunde der bereits anwesenden Protagonisten.
Carsten Preuß stellte sich sehr freundlich vor und zog einen kurzen politischen Bogen vom sogenannten „Diesel-Gipfel“ über seine Arbeit als Landesvorsitzender des BUND (unter anderem gegen die Privatisierung von Seen), sozialer Gerechtigkeit bis zur Friedenspolitik der LINKEN. Die Architektin Gudrun Eichler, Bürgermeisterkandidatin der Grünen in KW mit Unterstützung der LINKEN, gab danach bekannt, dass sie früher mal als Mitglied der LINKEN unter dem Namen Gudrun Ludwig bekannt gewesen sei. Außerdem sei sie die einzige Kandidatin, die sich auch um ein alternatives Konzept für den Hafen ausspreche. Offenbar hat sie das Wahlprogramm ihres Mitbewerbers Swen Ennullat (Freie Wähler KW) noch nicht gelesen… Etwas verblüfft war ich von ihrer Aussage, dass man als Bürgermeisterin einer Stadt mit fast 40.000 Einwohnern eigentlich keine Verwaltungserfahrung brauche. Wohin das führt, hat uns der derzeit hier regierende Sprachwissenschaftler acht Jahre lang aufgezeigt. Gudrun ist mir sehr sympathisch, ich wünsche ihr nicht, auf diesem Terrain ins Trudeln zu geraten.
Noch bunter wurde der Reigen bei der Vorstellung des Bürgermeisterkandidaten aus Zeuthen, er kandidiert nämlich für die LINKE, die FDP und eine Bürgerbewegung gemeinsam. Bei allem Verständnis dafür, dass es Unterschiede zwischen Bundes- und Kommunalpolitik gibt, kann ich mir nicht vorstellen, dass eine ausreichende Kongruenz der Interessen und Ideologien vorhanden ist, diese drei Richtungen durch ein und dieselbe Person zu vertreten. Auf jeden Fall gab sich Sven Herzberger, der immerhin Rechtsanwalt ist, kompetent und scheint ein netter Kerl zu sein. Angesichts der zur Wahl stehenden Alternativen wünsche ich ihm alles erdenklich Gute, möge er die Wahl gewinnen. Ich beneide ihn jedoch nicht um die Aufgaben, die in den nächsten Jahren auf ihn zukommen, denn noch mehr als unsere Stadt ist Zeuthen unabwendbar durch Lärm und Dreck von Flughafen und Eisenbahn betroffen, und noch schwieriger ist der Spagat zwischen Verdichtung, Infrastruktur und Lebensqualität in der Nähe von Flughafen und Berlin.
Ja und dann kam in der Überbrückung zum sehnlich erwarteten Gysi auch noch der Brandenburgische Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz Stefan Ludwig zum Zuge. Welche Rolle er in dieser Wahlkampfveranstaltung spielte, habe ich nicht so richtig begriffen, ich habe allein die Botschaft verstanden, dass es zurzeit ein Problem mit Gift in Eiern gibt und er auch schon einmal Bürgermeister von Königs Wusterhausen war. Jedenfalls durfte er auch auf dem Podium Platz nehmen.
Vielleicht lag es ja am stark geröteten Bühnenhintergrund, dass mir alle Kandidaten recht blass vorkamen.
Doch dann kam er endlich, der Superstar der LINKEN: Gregor Gysi. Und hielt eine seiner wirklich toll strukturierten und pointierten Reden, nach denen man die Weltpolitik und die Sicht der LINKEN wirklich begriffen und verinnerlicht hat. Heidrun Voigt von der MAZ [1] titelte kürzlich in derselben: „Gregor Gysi und die hohe Kunst der Rede“. Das trifft es wirklich. Und so fiel mir wieder der ältere aber leicht besoffene Herr von Kurt Tucholsky ein. Zumindest ich fühlte mich etwas besoffen gequatscht und ich gebe zu, trotzdem ich auf verschiedenen Kanälen schon baugleiche Reden von Gregor gehört hatte, gefiel mir das besser als der eingangs erwähnte Kugelschreiber.
Was dann jedoch kam, fand ich schwach – oder soll ich sagen enttäuschend? Gysi beendete seine Rede, nahm den Applaus entgegen, drehte sich um, gab Dame und Herren auf der Bühne die Hand und verließ in Begleitung seiner Bodyguards den Saal.
Sehr schade, dass es dem um die Leitung der Veranstaltung bemühten Bundestagskandidaten Carsten Preuß nicht gelang, die Dramaturgie weiter im Griff zu behalten, denn nach Gysi standen ca. drei Viertel der Anwesenden auf und gingen ebenfalls.
Denn ich und einige andere Anwesende hätten einige drängende Fragen gehabt und uns gewünscht, dass Gysi diese mit den anwesenden Kandidaten diskutiert hätte:
Ich hätte zum Beispiel wissen wollen, warum die LINKE in unserer Stadt eigentlich kaum mit eigenständiger Politik in Erscheinung tritt. Oder was die LINKE in Brandenburg nach den letzten Wahlen bewogen hat, in meinen Augen faktisch geschlossen der SPD beizutreten und damit eigenständige LINKE Politik aufzugeben. War es, um einige Funktionäre in Ministerämter zu bringen? Wird nicht damit bei den nächsten Landtagswahlen das Wahlergebnis der LINKEN nahe der Bedeutungslosigkeit sein? Sind es ein paar Minister ohne Gestaltungshoheit wirklich wert, auf eine eigenständige LINKE Politik zu verzichten und sich von einer starken Opposition und eigenem Profil abzukehren? Und nicht zuletzt: Was sagen Gregor Gysi und Carsten Preuß dazu, dass eines ihrer Parteimitglieder an der Seite der SPD in Königs Wusterhausen in den Bürgermeisterwahlkampf einsteigt, gar eine gemeinsame Fraktion mit der SPD bildet und damit seine Wähler betrügt, die ihn bei der Kommunalwahl 2014 in einer Bürgerbewegung wähnten? Kann man es nur damit abtun, dass Herr Reimann ein bequemer Wendehals ist, der immer nur nach dem strebt, was ihm die besten Vorteile bringt? Und der in der Hoffnung, unter einem Bürgermeister Hanke einen netten Posten, vielleicht ja den Vorsitz der SVV, zu ergattern, andere Kandidaten auf übelste Weise diffamiert?

Tja, Fragen über Fragen, noch immer offen nach einem Abend, von dem mir eine kurzweilige Rede von Gregor zwar im Gedächtnis bleibt, aber keine Antworten liefert.


Das Eventcenter KW war bis auf den letzten Platz besetzt


Kandidaten mit Wahlkampfhilfe des Ministers (v.l.n.r): Eichler, Ludwig, Herzberger


Gudrun Eichler, Bürgermeisterkandidatin


Stefan Ludwig, Justizminister


Der Star des Abends, Gregor Gysi


Kleine Geschenke auf jedem Platz
Alle Fotos © M8 Medien